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H1N1: Schweinegrippe: Kinderärzte kapitulieren vor Pandemieplan

Viele Patienten klagen, dass ihnen bei Schweinegrippe-Verdachtsfällen nicht geholfen wird. Die Mediziner verweisen auf hohe Kosten und komplizierte Regelungen. Eltern schildern die Odysee nach einem Verdachtsfall.

Von Sandra Dassler

Berlins Kinder- und Jugendärzte fordern klarere und vor allem realistische Kriterien für die Erkennung und die Behandlung der Schweinegrippe. „Momentan ist allein bei der Logistik und Bezahlung noch so vieles ungeklärt, dass man bei steigenden Fallzahlen, wie sie im Herbst zu erwarten sind, mit großen Problemen rechnen muss“, sagt der Sprecher der Berliner Kinderärzte, Ulrich Fegeler. So hätten möglicherweise manche Kinderärzte Schwierigkeiten, Patienten mit Verdacht auf Schweinegrippe in ihren Praxen ausreichend zu isolieren. Auch fehle die Logistik, um die Proben ins Landeslabor zu bringen. Unklar sei auch, in welchen Fällen der sogenannte PCR-Test, mit dem das Virus H1N1 nachgewiesen wird, von den Kassen bezahlt werde, sagt Fegeler.

Dabei ist nach den Vorstellungen der Gesundheitsbehörden alles ganz einfach: Wer glaubt, dass sein Kind an Schweinegrippe erkrankt ist, geht zu seinem Kinderarzt – am besten nach telefonischer Anmeldung. Der Arzt entnimmt in Schutzkleidung im separaten Raum drei Abstriche aus Nasenlöchern und Rachen. Dann bestellt er einen Kurierdienst, der die Proben abholt, während er den Eltern rät, sich und ihr Kind sicherheitshalber von anderen fernzuhalten.

Was Uwe K. aus Schöneberg zu Beginn dieser Woche erlebte, war allerdings ganz anders. Am Wochenende hatte ihm seine Exfrau den gemeinsamen Sohn nach Berlin gebracht und ihm nebenbei erzählt, dass sie einige Tage zuvor positiv auf Schweinegrippe getestet worden sei. Als sein Sohn am Sonntagabend hohes Fieber bekam, rief K. in zwei Kliniken an und schilderte den Fall. „Die sagten, dass ich zum Kinderarzt gehen soll“, erzählt K.: „Doch die ersten zwei Kinderärzte, bei denen ich am Montag anrief, erklärten, dass sie mein Kind nicht behandeln würden und ich es in eine Klinik bringen sollte.“

Der Hinweis, dass die Kliniken ihn bereits zu den niedergelassenen Kinderärzten geschickt hätten, half nicht. Erst ein dritter Kinderarzt war schließlich bereit, Uwe K.s Sohn vorschriftsmäßig in einem separaten Raum seiner Praxis Schleimhautabstriche zu entnehmen. „Das müssten Sie ins Landeslabor bringen“, sagte er anschließend. Uwe K. war verblüfft: „Ich soll jetzt mit meinem Kind in die U-Bahn steigen?“, fragte er. Das gehe am schnellsten, bekam er zur Antwort.

Dem Tagesspiegel sagte der Kinderarzt: „Mit dem Material konnte nichts geschehen, es war absolut sicher verpackt.“ Auf den Hinweis hin, dass der Sohn und der inzwischen möglicherweise ebenfalls infizierte Vater auf dem Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln viele andere Menschen hätte anstecken können, sagte der Arzt: „Ich bin davon ausgegangen, dass der Vater im Auto zum Labor fährt.“

Auch wenn das zuständige Gesundheitsamt in Schöneberg ebenso wie die Senatsgesundheitsverwaltung dies als Einzelfall bezeichnen – zum Landeslabor in der Invalidenstraße werden öfter Proben durch die Patienten, ihre Eltern oder mit dem Taxi gebracht.

„Was sollen wir denn tun?“, fragt der Arzt aus Schöneberg: „Einen Kurierdienst hat das Landeslabor nicht, und ich kann doch die Proben nicht selbst dorthin oder zum Gesundheitsamt bringen. Und mit der Post dauert es noch länger.“ Überhaupt verursache die Umsetzung des Pandemieplans unverhältnismäßig hohe Kosten. Das betreffe praxisinterne Isolierungsumbauten, aber auch die Schutzkleidung und Desinfektionsmittel.

Zusätzliche Verunsicherung schaffen seit drei Wochen die Richtlinien der Kassenärztlichen Vereinigung. Danach übernehmen die Kassen die Kosten für den PCR-Test nur in manchen Fällen, etwa bei Risikopatienten oder wenn der Test für die richtige Therapie notwendig ist. „Diese Kriterien sind kompliziert“, sagt Kinderarzt Fegeler: „Und sie sind für Kinder völlig ungeeignet.“

Die Leidtragenden sind neben Ärzten auch die Eltern. So sollte kürzlich ein Vater aus Friedrichshain der Kita seines Sohnes eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, wonach sein fiebriges Kind nicht an Schweinegrippe erkrankt sei. „Eine solche Bescheinigung dürfen wir nicht ausstellen“, sagt Fegeler: „Aber offenbar hat das den Kitas niemand mitgeteilt.“

Der Grund dafür, dass – übrigens entgegen den Empfehlungen des Robert- Koch-Instituts – nicht mehr jeder Patient getestet wird, sind die hohen Kosten. Viele Experten trauen den offiziellen Zahlen nun noch weniger. Die weisen für Berlin bisher 406 Infizierte aus, täglich kommen zurzeit ein bis drei Fälle hinzu. Allerdings rechnet das Robert-Koch-Institut mit einer neuen Welle im Herbst.

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