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Tagesspiegel-Kolumnistin Pascale Hugues liest und diskutiert im Tagesspiegel-Salon.

© Thilo Rückeis

Kolumne "Mon Berlin": Was für ein Käse!

Die Globalisierung sorgt für den weltweiten Einheitsbrei auf dem Lebensmittelmarkt. Glücklicherweise gibt es Ausnahmen. Unsere Kolumnistin fahndet danach.

In der vergangenen Woche bin ich in einem Supermarkt in Marseille fast in Ohnmacht gefallen. Die französische Käsetheke, das ist 1001 Nacht, kulinarisch. Dutzende und Aberdutzende von Sorten: fließend, fest, blaugeädert, durchlöchert, gräulich, runzlig und ein wenig unappetitlich, rund wie der Vollmond. Manche strömen einen so durchdringenden Geruch aus, dass sie einen Fliegenschwarm einschläfern könnten. Andere sind so herb, dass es den Mund zusammenzieht. Wieder andere gleiten cremig wie eine Liebkosung über die Zunge.

Die französischen Käse verhalten sich umgekehrt proportional: Je weniger appetitanregend, je stinkender, desto delikater der Geschmack. Im Käse, sagt eine schöne Redensart, springt die Milch in die Unsterblichkeit.

Rocamadour, skandiere ich mit lauter Stimme

Träumerisch und sprachlos vor so viel Überfluss lässt das Etikett auf einem kleinen Käse mich zusammenfahren. Rocamadour..., Rocamadour..., skandiere ich mit lauter Stimme. Überrascht. Vier Silben. Die beiden ersten wie hartes Geröll. Die beiden letzten wie sanftes Murmeln. Seit Jahren habe ich dieses Wort nicht mehr gehört.

Ganz plötzlich stieg es aus den Tiefen meiner Erinnerung auf: ein Samstagabend kurz vor der Schließung, ein gewöhnlicher Supermarkt in einer großen südlichen Stadt. Rocamadour – was für ein märchenhafter Name, der eher an den tollkühnen Helden eines Degen- und Mantelromans denken lässt als an einen unschuldigen und winzigen Ziegenrohmilchkäse, der laut Etikett im Schloss Mordesson in Rignac hergestellt wird.

Es ist gut, dass es diesen Käse nicht bei Kaisers gibt.

Im Stammbaum der französischen Käse gehört der Rocamadour zur Linie der Cabécous. Auf der Käseplatte der französischen Tische ist er eine Art kleiner Bruder, der von allen geliebte Benjamin. Immer zwischen dem Camembert und dem Brie, seinen ehrwürdigen Großonkeln. Er ist mir wieder so vertraut, obwohl ich ihn in all den Jahren im Ausland völlig vergessen hatte. Für ein Kind schmecken diese kleinen Ziegenkäse viel zu streng. Wie Seife! Vor dem Nachtisch ein Stück Rocamadour zu nehmen ist wie ein Übergangsritual in die Welt der Erwachsenen – wie das erste genehmigte Glas Wein im Kreis der Erwachsenen oder das erste Bier in der Kneipe.

Schmeckt wie Seife, zumindest beim ersten Mal: Der Rocamadour.

© Myrabella / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0

Vor allem aber lässt der Rocamadour ein unbezwingbares Heimatgefühl sprudeln. Ein wenig wie der Old Amsterdamer das Herz der Niederländer, der Harzer Roller das Herz der Deutschen höher schlagen lässt. Umso mehr, als der wackere Rocamadour sich rar macht, um die Sehnsucht hervorzurufen. In Berlin habe ich ihn noch nie gefunden. Ich habe es gerade überprüft: kein Rocamadour bei Kaiser’s in meiner Berliner Straße. Und das ist auch gut so! Der Rocamadour ist durch die Maschen der Globalisierung geschlüpft. Es gibt also noch ein paar Lebensmittel, die man nicht sofort und überall kaufen kann.

Ich hatte sieben Kilo Porridge im Koffer

Wenn Sie mir diesen gewagten Vergleich erlauben: Der Rocamadour ist wie das Porridge. Ich weiß wohl, dass Sie jetzt die Stirn runzeln. Wie kann man den kleinen Prinzen der Käse mit diesem faden, abstoßenden Brei vergleichen! Ja, nur für sehr wenige von uns gehört das Porridge zu den unverzichtbaren Frühstücksdelikatessen. Aber Porridge findet man in Berlin noch weniger als den Rocamadour. Fragen Sie doch mal die Verkäuferinnen im KaDeWe, wo der Porridge ist. Sie werden Sie mit runden glasigen Augen ansehen. Und wenn Sie ihnen eine lange Erklärung zur Natur, Beschaffenheit und Funktion dieser sehr speziellen Haferflocken geliefert haben, wenn Sie erklärt haben, dass man das in England zum Frühstück isst, werden sie Ihnen triumphierend das Regal mit den Cornflakes zeigen. Porridgesüchtig – das ist wirklich der Gipfel!

Neulich kam ich aus London mit sieben Kilo Porridge im Koffer zurück. Glücklicherweise haben die Zöllner mich in Ruhe gelassen. Ich weiß auch nicht, wie ich, hätte ich den Koffer öffnen müssen, diese seltsame Vorliebe glaubwürdig hätte begründen können.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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