zum Hauptinhalt

Kultur: Aller Anfang ist lang

Die Debatte um ein Holocaust-Mahnmal in Berlin ist zwischenzeitlich durch den Walser-Bubis-Streit angereichert und zugleich überlagert worden.Tatsächlich sind viele Fragen jetzt einmal mehr völlig offen.

Die Debatte um ein Holocaust-Mahnmal in Berlin ist zwischenzeitlich durch den Walser-Bubis-Streit angereichert und zugleich überlagert worden.Tatsächlich sind viele Fragen jetzt einmal mehr völlig offen.Soll der New Yorker Architekt Peter Eisenman dieses "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", wie das Projekt noch immer offiziell heißt, nach seinem vom früheren Bundeskanzler Helmut Kohl favorisierten Entwurf bauen - obwohl der Wettbewerb über die von einer Jury vorausgewählten Modelle insgesamt noch nicht entschieden ist? Oder soll statt dessen eine Gedenkstätte, wie sie Kulturstaatsminister Michael Naumann vorschlägt, realisiert werden: ein Haus der Ausstellungen mit einer Bibliothek für Lehre und Forschung? Wenn ja, mit einem Garten auch für Kinder und Jugendliche, den Akademie-Präsident György Konrád vorschlägt? Oder sollen Denkmal und Gedenkstätte zusammen gebaut werden, gar unter der Leitung von Eisenman?

In den Vordergrund rückt dann die Frage: "Wer soll entscheiden?" Der Bundestag? Wenn ja, ohne den Berliner Senat? Sollen die Politiker tatsächlich über ästhetische Fragen, über die Künstler-Entwürfe befinden? Oder müßten sie zunächst über die prinzipiellen Fragen des Standorts (nur ein zentrales Mahnmal?) und über die umstrittene Beschränkung auf nur eine (Haupt-) Opfergruppe des Holocaust debattieren? Was würde hierauf mit Erinnerungsmalen zum Beispiel für die Sinti und Roma sowie die geistig Behinderten? Warum spricht kaum jemand von der Idee des Bundespräsidenten, überall in Deutschland Gedenktafeln anzubringen? Einmal sagte Herzog, diese könnten ein Zentralmahnmal ersetzen, einmal meinte er, diese sollten ein solches Mahnmal ergänzen.

Beinahe alle schauen auf die Uhr.Der Bundestag befindet sich im Stadium der Vorentscheidung.Wer aber ist dort federführend: Bundestagspräsident Thierse, der vorsichtig mit Naumanns Vorstellungen sympathisiert, oder doch eher die Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Elke Leonhard, die ein Mahnmal favorisiert, das "wehtut"? Sollte es Hearings geben, wie bei einer Enquête-Kommission? Wenn ja, wer soll, wer muß dazu gehört werden? Auch in der Zeit-Abstimmung gibt es Unterschiede.Wann soll was passieren? Im Frühjahr, um nicht in den Berliner Wahlkampf zu geraten, oder alles erst nach den Berliner Wahlen vom 10.Oktober? Will jemand so lange warten? Wenn die komplexe und komplizierte Debatte aber im Bundestag mit entsprechenden Vorkenntnissen und vorbereiteten (alternativen) Entscheidungsgrundlagen stattfinden soll, wird das kaum mehr vor der Berliner Wahl möglich sein.

Manche der Hauptakteure geraten außer sich, wenn man sie zu diesen Themen befragt.Sie weisen auf einen ursprünglichen "Beschluß" hin - wessen Beschluß, wer war dazu legitimiert? -, den Grundstein für ein "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" am 54.Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, also am 27.Januar 1999 zu legen.Sie fordern, daß der Bundestagsausschuß höchstens einige Stellungnahmen hört und dann zwischen den vorliegenden Entwürfen des zweiten Wettbewerbs und so im Zweifel für Eisenmans Entwurf einer gewellten Steinlandschaft aus 2700 Betonstelen entscheidet.

Sie tragen vor, der Bundestag habe über das Holocaust-Mahnmal bereits debattiert.Doch nur die wenigstens wissen, wann es diese Debatte gegeben hat: am 9.Mai 1996.Diese etwa anderthalbstündige Aussprache wurde von den Medien kaum beachtet, weil es damals keine konkrete Vorlage gab und keine Abstimmung, keinen Beschluß.

Alle Standpunkte sind verständlich, und fast alle haben auch wieder Gegenargumente provoziert.Lea Rosh, die streitbare und manchmal streitsüchtige Vorsitzende des Fördervereins - die eigentliche Kraft hinter der Denkmal-Bewegung -, will nicht, daß man ihr die Frucht elf Jahre intensivster Beschäftigung raubt: "Herr Naumann sollte klar sagen, daß er den Juden kein Denkmal setzen will", tönt es aus ihr demagogisch.Architekt Eisenman ist vorsichtiger, aber vielleicht nicht immer der beste Interpret seiner Kunst: "Eine authentische Stätte - Oranienburg, Bergen-Belsen, etc.- kann kein Mahnmal sein." Oder: Kanzler Kohl habe ihm geraten, nicht die "internationale Jüdische Gemeinde" in seine Bemühungen, den Mahnmal-Auftrag zu bekommen, einzuschalten.Meinte Kohl etwa wie Augstein das "Weltjudentum"? Oder hat Eisenman ihn falsch verstanden? Wäre das der Anfang einer neuen Debatte?

Naumanns "Haus des Erinnerns" scheint ein plausibler Vorschlag; wie er ihn jedoch publik macht, beschädigt er ihn zugleich.Gegen eine Gedenkstätte nach dem Vorbild des Holocaust-Memorial-Museums in Washington als Platz der Anschauung und Forschung, gegen einen Ort, wo als Lehre der Geschichte Toleranz gelernt werden kann, wird kein vernünftiger Mensch etwas einwenden.Aber wenn Naumann solche Ideen halbgar serviert, darf er sich nicht wundern, wenn das Gericht nicht auf Begeisterung stößt.Als gäbe es in Berlin keine Wannseevilla, Topographie des Terrors, kein Antisemitismusforschungs-Institut der Technischen Universität, kein Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam.Abgesehen davon: Naumanns Gedenkstätte zu bauen, erforderte mindestens 70 Millionen Mark, einen Haushalt von vielen Millionen auf Jahre hinaus - und einen weiteren Architektur-Wettbewerb.

Nach den Kolloquien 1997 im ehemaligen Staatsrat in Berlin schrieb der Historiker Reinhart Koselleck, es seien jetzt zwar alle Argumente auf dem Tisch, aber viele würden von den Denkmals-Auslobern starrsinnig oder mit wachsender Intoleranz ignoriert.Wer ein Mahnmal will, müßte jetzt beginnen, die Argumente, die nicht gegen ein Mahnmal, aber als Kritik zur Verbesserung der Idee verstanden werden sollten, ernster zu nehmen.

Lea Rosh kann wahrscheinlich nichts dafür, daß sie einen riesigen Fehler gemacht hat.Indem sie und ihre Initiative die offizielle Politik mit ins Boot holten, wurde das Bürger-Projekt gleichsam verstaatlicht.Freilich ist ein Denkmal ein öffentliches Bauwerk, und weil man in diesem Fall in der Mitte Berlins ein öffentliches Grundstück brauchte, konnte dieses nur der Bund oder das Land zur Verfügung stellen.Wäre alles privat geblieben, hätte niemand dem Denkmal-Vorhaben in die Parade fahren können.Jetzt will, jetzt muß die Öffentlichkeit das entscheidende Wort mitreden.

Nach dem ersten, gescheiterten Denkmal-Wettbewerb eröffnete Berlins Kultursenator Peter Radunski die drei Experten-Kolloquien im Staatsratsgebäude mit fünf unantastbaren Prämissen: 1.Ein Denkmal wird gebaut.- 2.Der Standort wird beibehalten.- 3.Die Kosten von 15 Millionen Mark werden nicht überschritten.- 4.Es bleibt ein Denkmal ausschließlich für die ermordeten Juden Europas, anderer Opfergruppen soll mit dem Mal nicht gedacht werden.- 5.Der Termin für die Grundsteinlegung - 27.Januar 1999 - ist unverrückbar.

Das Ergebnis war ein Eklat.Manche, wie Julius Schoeps, Christian Meier, Salomon Korn, Koselleck, fragten, warum sie überhaupt eingeladen wurden, wenn diese Prämissen nicht hinterfragt werden dürfen.Die Urheber des Verfahrens fuhren ihr Werk an die Wand.Daher schrieb ich im Tagesspiegel am 20.2.1997: "Laßt Bonn entscheiden."

Das Kolloquium scheiterte also nicht am Konzept, sondern an der Ausführung.Man kann nicht Kritiker mit Versprechen beschwichtigen, die man zu halten nicht bereit ist.Versprochen wurde dennoch: 1.keinen neuen Wettbewerb auszuloben und 2.andere Grundstücke zu untersuchen.Doch waren das nur Tricks: Der zweite Wettbewerb hieß nun verschämt "Engeres Auswahlverfahren"; nicht eine Jury, sondern eine "Findungskommission" mit unklarer Verantwortung wurde bestellt.Entgegen dem Versprechen wurden andere Standorte nicht untersucht.

Das Dilemma war absehbar.Die Auslober hatten vereinbart, sie treffen ihre Entscheidung "einvernehmlich", jetzt waren sie nicht einig.Es folgte die Diskussion von Februar bis August 1998 und ein Regierender Bürgermeister, der am 25.August 1998 die Entscheidung des Senats bis nach den Bundestagswahlen verschob.Und ein Abgeordnetenhaus, das beschloß, der Bundestag möge entscheiden, was ohnehin vorgesehen war.Wer will, daß über all diese Fragen im Bundestag debattiert wird, hört von den Mahnmal-Gegnern, im Bundestag solle nur noch für ein Denkmal entschieden werden; während die Mahnmal-Befürworter argwöhnen: Im Bundestag werde nun ein solch einzigartiges Denkmal zerredet.Vor allem: alle wollen Tempo machen; manche befürchten, wenn jetzt nicht entschieden wird, wird es kein Mahnmal geben.

Edzard Reuter, der sich schon früh für ein Mahnmal engagierte, bekannte kürzlich, daß er selber in dem Hin und Her kaum noch durchblicke und für eine Pause zum Nachdenken wäre.Und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, rät schon lange dazu, hier nichts zu übereilen.In einer Demokratie kann eine so wichtige Entscheidung Jahrzehnte dauern; man sollte keine Angst davor haben, noch einmal zurück zum Anfang zu gehen.

Der Autor, 1939 in New York geboren, lebt als Historiker in Berlin.Cullen hatte die Reichstagsverhüllung von Christo angeregt und hat jetzt den Band "Das Holocaust-Mahnmal.Dokumentation einer Debatte" im Pendo Verlag, Zürich, vorgelegt.

MICHAEL S.CULLEN

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false