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Rat vom König. Philippa (Sally Hawkins) und Richard III (Harry Lloyd) sind vom Schicksal Gezeichnete.

© Graeme Hunter/Photo Credit: Graeme Hunter

„The Lost King“ im Kino: Eine Hobby-Historikerin widerlegt Shakespeare

Philippa Langley stellte 2012 die (männliche) Forschung auf den Kopf und entdeckte das Grab von Richard III.. In „The Lost King“ spielt Sally Hawkins sie mit unbeirrbarer Überzeugung.

Von Kerstin Decker

Jeder kennt Richard III.. Allein sein Ausruf „Ein Königreich für ein Pferd!“ machte den englischen König unsterblich. Und die schöne Wendung vom „Winter unseres Missvergnügens“ gehört längst in dissidentische Zusammenhänge aller Art. Dezenter und schärfer zugleich kann man seine Verachtung für die jeweilige Jetztzeit nicht äußern. Seine Nachwelt-Prominenz hat der König ohne Zweifel Shakespeare zu verdanken. Auch, dass er als Inbegriff des bösen Königs gilt, der die ganze Welt dafür leiden lässt, dass niemand ihn liebt. Bis auf Philippa. Nach über 500 Jahren verfällt sie diesem verkannten, missinterpretierten König.

Stephen Frears, der ja auch schon das Leben einer großen Queen verfilmte, hat einen schönen, skurrilen, intimen Film über die Missinterpretierten dieser Erde gedreht: Sie sollen zusammenhalten. Erst recht die Lebenden und die Toten. Letztere können sich nicht mehr wehren, also müssen die Lebenden es tun. Aber was heißt hier schon „lebendig“?

Umwerfend in trauriger Komik

Ganz sicher ist Philippa nicht, dass sie noch zu dieser beneidenswerten Spezies zählt. Nicht, seitdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat – oder er sich von ihr. Nicht, nachdem der Chef ihrer Agentur alle Namen aufgerufen hatte, die künftig zu seinem „Superteam“ gehören sollen. Wer, wenn nicht sie, wäre beförderungswürdig und ohnehin an der Reihe?

Sally Hawkins („The Shape of Water“) ist Philippa. Wie nach jedem aufgerufenen neuen „Superteam“-Namen die unerschütterliche Gewissheit in ihr kleines Gesicht zurückkehrt, der ihre wird der nächste sein, ist umwerfend in seiner traurigen Komik. Wohl keine kann wie Sally Hawkins Zuversicht spielen, zu der absolut kein Grund besteht. Spätestens seit Mike Leighs „Happy-Go-Lucky“ von 2008 weiß man das.

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Mag sein, dass es diese Spur Grundvertrauen ist, aus dem jeder lebt, das in ihrem Spiel von der Hintergrundannahme zur physiognomischen Vordergrundannahme wird. Schon allein wegen Sally Hawkins lohnt sich „The Lost King“.

Sie ist genau die Richtige für die Geschichte einer Frau, die ebenso unwahrscheinlich – geradezu absurd – wie authentisch ist. Denn dank Philippa Langley, Mutter zweier Kinder, akademisch völlig unvorbelastet, Laie in jeder Hinsicht, wurden 2012 die Gebeine Richards III. unter einem Parkplatz in Leicester entdeckt. Dabei galt es in der Fachwelt als ausgemacht, dass kein Grab dieses Königs existiert und nicht existieren kann. Wie also kommen Richard und Philippa zusammen?

Opfer der Tudor-Propaganda

Die vom Leben schon länger übersehene und nun akut unbeförderte Philippa besucht mit ihren Söhnen eine Aufführung von Shakespeares Drama. Sie merkt auf, als der König bekennt, wohl nie geliebt zu werden auf Erden, nicht in seiner buckligen Missgestalt. Aber einen Ausweg sehe er doch, das Leben zu spüren: Böse-Werden, Furcht und Schrecken verbreiten.

Besuch vom König: Philippa (Sally Hawkins) und Richard III (Harry Lloyd).

© Graeme Hunter/Graeme Hunter

Die Kamera fängt Philippas vor lauter Erkenntnis weit offenen Blick ein. Es ist wie ein Ewigkeitsaugenblick plötzlichen Innewerdens: Was, wenn der König gar nicht böse war? Wenn ihm der Schurke nur angedichtet wurde? Richard III., der letzte König aus dem Haus Plantagenet, ein Opfer der nachfolgenden Tudor-Propaganda? Man könnte auch von historiografischer Dekonstruktion sprechen. Nichts für Amateure. Sagen die Nicht-Amateure.

Stephen Frears verfolgt mit unendlicher Aufmerksamkeit und Sympathie, wie sich die Richard-Idee Schritt für Schritt Zugang zu Philippas Herz und Hirn verschafft. Und das Kino hat hier seine ureigenen Möglichkeiten, die Frears mit Lust nutzt: Anfangs sitzt Richard nur Nacht für Nacht auf der Bank vor Philippas Haus, bis sie sich genötigt fühlt, aus der Tür zu treten und den König, gefallen 1485 in der Schlacht bei Bosworth, darauf hinzuweisen, dass es sich hier um ihr Privatgrundstück handele. In der nächsten Szene sitzt Richard bereits in ihrem Wohnzimmer.

Der Buckel ist der Schlüssel

Sie sind beide vom Schicksal Gezeichnete: Laut Shakespeare ist der Buckel der Schlüssel zu Richards Charakter, und Philippa ist auch nicht ganz gesund. Da sie leichtsinnig genug war, dies ihren Kollegen mitzuteilen, sehen die inzwischen weniger Philippa als vielmehr die Krankheit mit Philippa als Hülle drumherum. Das kann sie so nicht stehenlassen. Stephen Frears und Sally Hawkins zeigen mit schönem Sinn fürs Skurrile den Turbo-Werdegang einer Richard-Spezialistin.

Dummheit ist nicht so sehr intellektuelle Minderbegabung als vielmehr die Unfähigkeit, Erfahrungen zu machen. Die akademischen Türen schließen sich beharrlich vor der neuen Richard-Spezialistin. Jeder andere hätte längst aufgegeben, aber sie klopft – Spezialbegabung: zielführende Dummheit – immer wieder an. Und setzt am Ende die Grabung durch. Was für ein Film über die Chance derer, die nie eine hatten. Und etwas ist da noch: Frears kommt aus Leicester. Unter dem Pflaster liegt nicht immer ein Strand, aber doch manchmal ein toter König.  

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