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Kultur: Eine linke Geschichte

Manchmal machen sogar Politiker was Richtiges. In der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS findet sich zwar kaum Erfreuliches zur Kultur, dann taucht aber doch ein Satz auf, der manchen Beobachter der Berliner Bühnenlandschaft ins Grübeln bringt: "Das carrousel Theater wird als Landesbühne für Kinder- und Jugendtheater Berlin erhalten und in seiner Arbeitsfähigkeit gestärkt.

Manchmal machen sogar Politiker was Richtiges. In der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS findet sich zwar kaum Erfreuliches zur Kultur, dann taucht aber doch ein Satz auf, der manchen Beobachter der Berliner Bühnenlandschaft ins Grübeln bringt: "Das carrousel Theater wird als Landesbühne für Kinder- und Jugendtheater Berlin erhalten und in seiner Arbeitsfähigkeit gestärkt." Wie bitte? Während in der Hauptstadt über Bühnen-Schließungen beraten wird, dem Volkstheater Hansa und dem Schlosspark-Theater die Zuschüsse gestrichen werden sollen und das Theater des Westens privaten Investoren schmackhaft gemacht wird, darf ein Kinder- und Jugendtheater auf finanzielle Zugaben hoffen?

Manuel Schöbel, seit 1991 Intendant des in Berlin-Lichtenberg gelegenen Carrousel Theaters, hat die frohe Kunde auf einer Gastspielreise im fernen Australien erreicht. Was er spontan empfand? "Freude darüber, dass die vielen Gespräche mit den Kulturpolitikern der Parteien endlich mehr Wirkung gezeigt haben als bloßes Verständnis für die Nöte meines Hauses." Was er sich erhofft? Dass es nicht bei der Absichtserklärung bleiben möge, sondern "wir mehr Geld bekommen, am besten schon im Doppelhaushalt 2002 / 2003, sonst macht das keinen Sinn."

Wie nötig es ist, dem größten staatlich alimentierten Kinder- und Jugendtheater Deutschlands nach Jahren des Raubbaus den Rücken zu stärken, zeigen die Zahlen. Zwar kann das Theater auf eine Auslastung von 85 Prozent verweisen. Auf Grund einer vom Berliner Kultursenat verordneten Schlankheitskur hat man sich aber von 15 Millionen (1995) auf 10,1 Millionen Mark (2001) pro Jahr heruntergehungert. Von ursprünglich 240 Mitarbeitern sind 120 übrig geblieben. Schöbel hat sich vorgenommen, diese Zahl auf 88 zu reduzieren. "Trotzdem bleibt dann noch ein Bedarf von 11,5 Millionen Mark pro Jahr", um das künstlerische und pädagogische Niveau zu halten. Und um endlich den Schuldenberg (akkumuliertes Defizit: 7 Millionen Mark) abtragen zu könenn.

Das klingt besorgniserregend. Zumal für ein Haus, das die klassischen Märchenstoffe (gestern Abend wurde "Der kleine Muck" uraufgeführt) und klassisches Bildungsgut pflegt ("Kabale und Liebe", "Woyzeck"), außerdem Gegenwartsthemen ("Wegen Reichtum geschlossen", "Furcht und Hoffnung in Deutschland") beackert; ein Haus, das seine Inszenierungen für Schulklassen aufbereitet und von Theaterpädagogen begleiten lässt und neben dem großen Saal und der Probebühne in Lichtenberg mit dem Grips-Theater auch noch die Schiller-Werkstatt ("Pterodactylus") in Charlottenburg bespielt.

Über 40 Jahre trug die 1950 gegründete Kinder- und Jugendbühne den Namen "Theater der Freundschaft". Weil das zu sehr nach DDR und realsozialistischer Beglückung klang, hat Schöbel, der das Bühnenhandwerk beim "Theater der Jungen Generation" in Dresden erlernte, bei seinem Amtsantritt über einen politisch weniger belasteten Namen nachgedacht. Um ein neues Publikum anzusprechen, musste ein Name her, der jugendliche und erwachsene Zuschauer aber nicht ausschließt: "Carrousel hat etwas zu tun mit dem Spielplan-Karussell, mit den Vorstellungen für verschiedene Altersgruppen, früh, nachmittags und abends." Auf die französische Schreibweise verfiel Schöbel, weil das deutsche Karussell schon im Schriftbild etwas von Rummelplatz, Unterhaltung und Jahrmarktbude hat. "Ein bisschen davon ist ja schön, aber es soll auch nicht nach billiger Unterhaltung klingen." Dass Schöbel, der "das Erzähltheater" und das von Brecht geprägte "epische Theater" bevorzugt, selbst "lange Zeit Schwierigkeiten hatte", Carrousel ordentlich zu schreiben, gibt er aber gern zu.

Die Aufwertung von Kinder- und Jugendtheater als literarisch-kulturelle Sozialisationsinstanz: Das wird, seit die Pisa-Studie die Bildungslücken deutscher Kinder offenbarte, jetzt vom Berliner Senat in Angriff genommen. Aber Sparopfer im Westteil und Spendierhosen im Ostteil der Stadt: Kann das gutgehen, zumal unter einem PDS-Kultursenator Thomas Flierl? Wie fühlt man sich, wenn zur selben Zeit das aus dem westberliner Sponti-Milieu hervorgegangene, mit Pop-Provokationen statt mit Brecht-Belehrungen agierende, weltberühmte Grips-Theater vom neuen Senat nicht auch aufgewertet wird? "Ich fühle mich prima", so Schöbel, "nicht weil ich es meinem Freund Volker Ludwig nicht gönnen würde, sondern weil die jahrelange substantielle Benachteiligung meines Theaters endlich beendet wird.

Frank Dietschreit

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