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Gleich zwei Konzerte gab das WDR-Sinfonieorchester Köln in Bukarest

© Cristina Tanase / Enescu Festival

George Enescu Festival in Bukarest: Streifzüge durch vielfältige Klanglandschaften

Seit 1958 gibt es das rumänische Enescu-Festival schon. Jetzt hat der Dirigent Cristian Macelaru die Leitung übernomnen. Internationale Spitzenkünstler und -orchester sind hier zu erleben.

Von Eleonore Büning

Das George Enescu Festival in Bukarest ist eines der größten, aber auch der bestabgesicherten Orchesterfestivals der Welt. Den Löwenanteil des Budgets trägt die rumänische Regierung – von rund 95 Prozent spricht Cristina Uruc, als Chefin der Agentur Artexim zuständig für die Organisation. Es geht also auch ums Prestige bei diesem „Schaufenster der Hochkultur“ in einem vergleichsweise armen Land.

Trotzdem hat das Festival ein heftiges Wahrnehmungsproblem, zumindest auf dem internationalen Parkett. Gegründet 1958, zu Ehren des größten rumänischen Komponisten, findet es alle zwei Jahre statt. Große Dirigenten, bekannte Solisten geben sich hier regelmäßig für vier Wochen die Klinke in die Hand. Heuer, bei der 26. Ausgabe des Festivals, sind, um nur ein paar hoch gehandelte Namen zu nennen, Klaus Mäkelä, Lahav Shani, Paavo Järvi, Simon Rattle und Philippe Herreweghe mit ihren Orchestern zu Gast.

Auch Zubin Mehta ist dabei

Zur Eröffnung spielte Gautier Capuçon mit viel Herzblut das Cellokonzert von Dvorak. Zum wiederholten Male reiste auch Zubin Mehta an, 89 Jahre alt, aber hellwach und energiegeladen. Er präsentierte Verdis „Otello“ in Bestform, sowie, mit Christiane Karg und Michéle Losier, eine strenge Lesart der Auferstehungssymphonie von Mahler. Glanz genugs also! 

Und doch ist Bukarest nie ein Magnet für Musiktouristen geworden, wie, zum Beispiel, Luzern oder Salzburg. Das sollte sich ändern, findet Cristian Mãcelaru, der in diesem Jahr erstmals die künstlerische Leitung des Festivals innehat. Wie, dafür hat er schon einen bestechend radikalen Plan in petto.

Mãcelaru will endlich das uralte Bukarester Konzertsaalproblem lösen, er baut dabei auf das Wohlwollen der Stadtplaner: Autos raus aus dem Viertel, Parks rein. Dazu Cafés und Restaurants überirdisch, Tiefgaragen unterirdisch. So könnten die Festivalgäste künftig von einem der schönen, alten, historischen Säle – dem Odeon Theater, dem Athenäum – fußläufig ohne Abgasgestank zur Sala Palatului spazieren.

Klassisches im „Paris des Ostens“

Dieser Riesensaal des Kongressgebäudes ist ein ewiges Provisorium. Einst gebaut worden für kommunistische Parteitage, mit bis zu 4000 Teilnehmern, ist dieser Saal akustisch für Musik total ungeeignet, muffig und hässlich obendrein. Mãcelaru will ihn entkernen und einen neuen implantieren lassen, als Arena, mit dem Orchesterpodium im Mittelpunkt.

Das soll bis zum Jahr 2031 geschehen, wenn es gilt, den 150. Geburtstag des Komponisten George Enescu zu feiern. Nicht nur für das rumänische Musikleben wäre das ein Sprung nach vorn; auch für Land und Leute, für eine moderne Infrastruktur in dieser zauberhaften alten Hauptstadt, die einst das „Paris des Ostens“ genannt wurde.

Zweimal Widmann mit dem WDR-Sinfonieorchester Köln: Jörg dirigiert, seine Schwester Carolin spielt die Solo-Geige.

© Cristina Tanase / Enescu Festival

Cristian Mãcelaru, zur Zeit Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters Köln und zugleich Musikdirektor des Orchestre National de France, übernahm die Intendanz des Enescu-Festivals von seinem Dirigentenkollegen Vladimir Jurowski, der schon nach zwei Jahren das Handtuch geworfen hatte. Kein Wanderpokal! Zuvor hatte über zehn Jahre hinweg Tausendsassa Ioan Holender in Bukarest seine lukrative Spielwiese gepflegt. Er ist, wie Mãcelaru, gebürtiger Rumäne, stammt aus der gleichen Stadt. Timișoara (zu deutsch: Temeszwar) ist zur Zeit Kulturhauptstadt Europas.

Hier hatte Mãcelaru mit seinem WDR Sinfonieorchester in Frühjahr dieses Jahres bereits eine Residency absolviert, mit der Vierten von Brahms, einer Uraufführung von Klaus Lang sowie Workshops für Musikstudenten. Zwei Trompeter des befreundeten Temeszwarer Sinfonieorchesters sind nun angereist, um ihrerseits beim Enescu-Festival als Aushilfen mitzuwirken, wenn das WDR Sinfonieorchester Köln sich erstmals einreiht in das Klassentreffen der „Great Orchestras of the World“.

Märchenhaftes Frühwerk

Die Ballettmusik „Der holzgeschnitzte Prinz“ von Béla Bartók wird selten aufgeführt, vielleicht, weil sie so aufwendig ist. Hier kann wirklich jeder einzelne im Orchester seinem Affen reichlich Zucker geben! Das märchenhaft surreale Frühwerk verlangt ja nicht nur nach allerhand Extrafarben: Saxofone, Schlagwerk, Celesta; es fordert auch die klassischen Stimmgruppen dazu heraus, mehr als ihr Bestes zu geben.

Plastisch entsteht vor dem inneren Auge eine ironische Geschichte von Lug, Trug und Selbstbetrug, aus schwelgenden Klarinetten, jubelnden Flöten, säuselnden Bässe. Alles ist aus dem Gesang entwickelt, eine Klanglandschaft sondergleichen entfesselt Mãcelaru! Zuvor dirigierte er eine affektgeladene Schlagzeugorgie, als rumänische Erstaufführung des Komponisten Dan Dediu. Und Matthias Goerne dozierte, mit überbordender Bedeutsamkeit, sieben Wunderhorn-Lieder von Gustav Mahler.

Als Carte blanche für den Komponisten Jörg Widmann erwies sich das zweite Konzert des WDR Sinfonieorchesters. Widmann dirigierte erstens Eigenkompositionen, er spielte zweitens Klarinette und führte drittens, in symbiotisch-energiegeladenem „Pas de deux“, gemeinsam mit seiner Schwester Carolin Widmann sein zweites Violinkonzert auf, das er ihr gewidmet hatte: Ein instrumentales Theaterstück, sophisticated aus Atem und Gesang entwickelt, und durchgeführt mit ironischer Bravour sowie Ernst, Satire, Scherz und tieferer Bedeutung. Einfach hinreißend! Es mündete in Beifallsstürme.

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