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Kultur: Immer wieder sonntags: Schuhe putzen im Hotel

Man soll ja sonntags eigentlich keine Arbeiten verrichten, wenn man schon frei hat, jedenfalls keine groben. Trotzdem möchte ich Sie zu einem Tabubruch animieren.

Man soll ja sonntags eigentlich keine Arbeiten verrichten, wenn man schon frei hat, jedenfalls keine groben. Trotzdem möchte ich Sie zu einem Tabubruch animieren. Öffnen Sie Ihren Schuhschrank, nehmen sie all die etwas geräderten, staubgeschliffenen, leicht angetretenen Exemplare heraus, und dann ran an die Arbeit. Finanziell hätten Sie das vielleicht gar nicht nötig, sich wegen so einem Mist von dem spannenden Krimi loszuschälen, den Sie gerade verschlingen. Aber was bleibt Ihnen schon übrig?

Sicher, man sieht Sie gelegentlich mit der Bettwäsche in die Reinigung schlüpfen. Und natürlich haben Sie eine Putzfrau, die beneidenswerterweise auch bügeln kann und überhaupt ganz wunderbar ist. Aber Schuhe? Dreckige Berliner Schuhe?! Das haben Sie sich bislang nicht getraut zu fragen. Wir mögen in der Dienstleistungsgesellschaft angekommen sein, aber fühlen uns immer noch nicht ganz zu Hause in ihr.

Vor einiger Zeit kam ich mal an dem einzigen mir bekannten Schuhputzstuhl der Stadt im Europa-Center vorbei und stellte mir vor, wie abgrundtief peinlich sich jemand fühlen muss, der oben thront und sich die Schuhe wienern lässt. In Amerika ist das völlig selbstverständlich. Kein Grund, sich zu schämen, wenn man anderen die Chance gibt, Geld zu verdienen.

Aber hier wirkt es immer ein bisschen so, als könne man seinen Dreck nicht alleine wegmachen. Ob man nun Lust dazu hat oder nicht, spielt keine Rolle. Wer Unangenehmes gegen Bezahlung delegiert, steht schnell als Drückeberger da. Bestimmte Arbeiten an andere zu vergeben, gilt als nicht fein, und deshalb vergibt man sie auch nicht. Sachen gelten als fein. Schöne, fette, glänzende Autos, für die man furchtbar viel Geld ausgegeben hat, ernten in Pawlowscher Manier die neiderfüllt anerkennenden Blicke der näheren Umgebung.

Dagegen bringen einem Geldausgaben zur eigenen Mußegewinnung auch heute noch verächtliche Bemerkungen ein. Wohl zuviel Knete, wa? Und selbst wenn die Umgebung sich zusammenreißt, dann dreht das eigene Gewissen manchmal durch, gemartert von den Rudimenten einer strengen preußischen Erziehung, und schreit einem gequält ein "Bist Du wahnsinnig?!?!" ins nach säuseliger Faulheit lechzende Ohr. Da bleibt nur eine Möglichkeit, man muss die altmodische Stimme in großem Stil bekämpfen.

Falls Sie die Schuhputzsitzung jetzt richtig genervt hat, und Sie mit dem Ergebnis auch nicht recht zufrieden sind, gibt es übrigens einen einfachen Ausweg: Gehen Sie doch für eine Nacht ins Luxushotel. Kann man auch in der eigenen Stadt machen, macht dort sogar eher mehr Spaß als anderswo.

Sobald die Nacht alles ganz pechrabenschwarz gemacht hat, so dass keiner Sie mehr sieht, nicht mal der Gott der Schuhputzer, hängen Sie gleich drei Beutel auf einmal heraus. Aber Achtung! Bevor Sie sie am nächsten Morgen vorsichtig wieder hereinhangeln, kämmen Sie sich alle Haare ins Gesicht. Schrecklich, wenn der Nachbar auf den gleichen Gedanken gekommen wäre und Sie ausgerechnet hier erkennen würde.

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