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Parteien sind auf die staatliche Parteifinanzierung angewiesen.

© dpa/ Kay Nietfeld

„Ist eine solche öffentliche Diskreditierung wirklich gerechtfertigt?“: Verfassungsrechtler blicken skeptisch auf Urteil zur Parteifinanzierung

2018 hatten der Bundestag eine Anhebung der Parteifinanzierung um 25 Millionen Euro beschlossen. Diese hat Karlsruhe nun gekippt.

Wie gewonnen, so zerronnen: Seit einigen Jahren haben die Parteien von den Steuerzahler:innen insgesamt 25 Millionen Euro mehr bekommen. Damit ist jetzt Schluss, hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden. Der 2018 von den damaligen Regierungsparteien Union und SPD beschlossene Anstieg von 165 auf 190 Millionen Euro war verfassungswidrig, sagt das höchste Gericht. Das Ganze war damals etwas unter dem Radar gelaufen, nur zehn Tage hatte das Gesetzgebungsverfahren gedauert, durchgewunken kurz vor der Sommerpause und während der Fußballweltmeisterschaft

Abgeordnete von Grünen, FDP und der Linken hatten gegen die üppige Erhöhung der staatlichen Finanzmittel für politische Parteien geklagt – obwohl sie selbst davon profitierten, hielten sie das Plus für unverhältnismäßig.

Der Bundestag hatte die Erhöhung mit den veränderten Anforderungen begründet, die dieser Tage an Parteien gestellt würden: Digitale Parteitage, die Abwehr von Cyberangriffen und die Kommunikation in den sozialen Medien etwa. Um derartige Aufgaben bewältigen zu können, sei mehr Geld nötig.

In Deutschland finanzieren sich Parteien aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und etwa zu einem Drittel aus staatlichen Geldern. Parteispenden sind rückläufig, so dass die staatliche Parteienfinanzierung für die Parteien einen immer höheren Stellenwert einnimmt. Dabei erhält jede Partei mit einem bestimmten Mindestwahlergebnis 0,83 Euro je gültige Stimme. Was der Staat den Parteien insgesamt jährlich zahlt, ist unter der sogenannten „absoluten Obergrenze“ gedeckelt, die regelmäßig an die preisliche Entwicklung angepasst wird.

25
Millionen mehr erhalten die Parteien seit 2018 vom Staat.

Diese Obergrenze darf nur in erforderlichem Umfang angehoben werden – damit soll dem Eindruck der Selbstbedienung ein Riegel vorgeschoben werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine außerplanmäßige Anhebung der Obergrenze gerechtfertigt, wenn „einschneidende Veränderungen der Verhältnisse“ gegeben sind. Mit der Anhebung 2018 sei die Regierung über das Ziel hinausgeschossen, meinen die Richter in Karlsruhe.

Bundesverfassungsgericht gesteht Parteien mehr Geld zu

Dass die Parteien mehr Geld brauchen, gesteht ihnen das Bundesverfassungsgericht zu. Die Verhältnisse hätten sich einschneidend geändert, so dass die Anhebung gerechtfertigt sein könnte, heißt es in der Urteilsverkündung. Die Anhebung sei aber nicht ausreichend begründet worden, erklärte Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats des Gerichts. Zwar habe die Digitalisierung die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Parteien entscheidend verändert.

Eine Anhebung sei aber nur unter drei Voraussetzungen zu rechtfertigen: Die einschneidende Veränderung müsse alle Parteien betreffen, von außen auf sie einwirken und den Finanzbedarf so erhöhen, dass sie ihn nicht aus eigener Kraft finanzieren könnten. Wie hoch der zusätzliche Finanzbedarf tatsächlich sei, sei damals nicht nachgewiesen worden, ebenso wenig seien mögliche Einsparpotenziale eingerechnet worden.

Die Gesetzesbegründung war vielleicht etwas kurz, aber wie der Gesetzgeber jetzt für diesen Fehler bestraft wird, halte ich für überspitzt.

Michael Brenner, Verfassungsrechtler.

Der Verfassungsrechtler Michael Brenner, Professor an der Friedrich-Schiller Universität Jena, bezeichnet das Urteil aus Karlsruhe als „kleinkrämerisch“.

Experten halten Urteil für übertrieben

Der Gesetzgeber schulde vor allem das Gesetz und nicht die Begründung, sagte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Dem Gesetzgeber werde hier zu viel zugemutet, meint er. „Wohin würde das führen, wenn jetzt bei jedem Gesetz eine Saldorechnung aufgemacht werden müsste? Die Gesetzesbegründung war vielleicht etwas kurz, aber wie der Gesetzgeber jetzt für diesen Fehler bestraft wird, halte ich für überspitzt.“

Das Urteil verkenne die Bedeutung, die den Parteien für unser Gemeinwesen zukämen, meint Brenner. „Jedes Unternehmen muss sich gegen Cyberangriffe schützen. Nichts anderes gilt für Parteien, die unverzichtbar sind für die politische Willensbildung des Volkes. Mit Blick auf die Realität halte ich das Vorgehen des Bundestags für verfassungsrechtlich vertretbar. Das sollte uns die Demokratie wert sein.“

Das Vertrauen in die Parteien ist schon gering genug. Ist eine solche öffentliche Diskreditierung wirklich gerechtfertigt, wenn das Gericht selbst sachliche Gründe für eine Erhöhung sieht?

Uwe Volkmann, Verfassungsrechtler.

Auch der Frankfurter Rechtsprofessor und Experte für Parteienfinanzierung, Uwe Volkmann, bezeichnet das Urteil als „pedantisch“. Selbstverständlich sei es sinnvoll in einem Gesetzgebungsverfahren Für und Wider in ausreichendem Maße im Plenum zu diskutieren, sagte er dem Tagesspiegel. Das sei hier unterblieben. Den Vorwurf der unzureichenden Erfüllung der Dokumentationspflicht hält er jedoch für überspannt.

„Vor allem, weil es wieder den bekannten Reflex bei den Medien auslösen wird: ,Parteien kassieren Klatsche aus Karlsruhe.’ Das Vertrauen in die Parteien ist schon gering genug. Ist eine solche öffentliche Diskreditierung wirklich gerechtfertigt, wenn das Gericht selbst sachliche Gründe für eine Erhöhung sieht?“

Sollte der Bundestag die Frage neu regeln, könnte am Ende durchaus die veranschlagte Summe wieder herauskommen, ist sich Volkmann sicher. „Das Urteil richtet mehr Schaden an, als dass es nutzt.“ 

Großen Parteien drohen Rückzahlungen

Mit dem Urteil tritt jetzt die alte Rechtslage in Kraft. Weil sie verhältnismäßig mehr Geld erhalten haben, dürften Rückzahlungsansprüche vor allem die größeren Parteien hart treffen. 

Die Kläger hingegen frohlocken.. Er freue sich, dass der „freche Versuch“ der großen Koalition, die Parteienfinanzierung ohne eine nachvollziehbare und gehaltvolle Begründung durchzudrücken, zurückgewiesen worden sei, sagte Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Die Parteienfinanzierung brauche Maß, Mitte und Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger. „Es ist gut, dass unsere Verfassung den Parteien klare Vorgaben macht und einer Selbstbedienungsmentalität vorbeugt.“

Parteienfinanzierung erfordere Fingerspitzengefühl, weil Abgeordnete dabei ein Gesetz beschließen, das sie selbst betreffe, sagte Stephan Thomae, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP dem Tagesspiegel. „Wir haben durch unsere erfolgreiche Klage gezeigt, dass wir ein rechtswidriges Gesetz nicht tolerieren, auch wenn das entgegen dem eigenen Interesse steht.“ Das Bundesverfassungsgerichtsurteil sei gut für die Demokratie, sagte Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Linken.

Bei der Union hingegen herrscht Katerstimmung. „Natürlich hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Zugleich betonte er, das Gericht habe eine Linie gezogen, „das ist auch richtig so“. Daran würden sich jetzt „alle Parteien, auch die CDU, zu orientieren haben. Und damit werden wir umgehen.“

Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, das Urteil bedeute, dass die in den betreffenden vier Jahren gezahlten 100 Millionen Euro zurückgezahlt werden müssten. Bei der CSU gehe es um rund vier Millionen Euro. Die Partei habe Vorsorge getroffen für den Fall eines solchen Urteils. Die Gelder seien in Erwartung einer solchen Entscheidung nicht ausgegeben worden.

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