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Politik: Waffenruhe oder Häuserkampf

Israel wägt die Risiken einer Bodenoffensive im Gazastreifen ab, während die Zahl der Luftangriffe sinkt

Für eine Bodenoffensive gegen den Gazastreifen bleibt Israel nicht mehr viel Zeit. Schon am Montag könnte der UN-Sicherheitsrat einen Waffenstillstand beschließen, dem sich weder Israel noch die Hamas verweigern können. Die diplomatische Front im Krieg um Gaza ist in Bewegung geraten. Die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice bemüht sich in ihren letzten Tagen im Amt um einen Waffenstillstand. Allerdings hat Rice klargestellt, dass sie „keine Feuerpause wie zuvor“ anstrebe, sondern einen anhaltenden Waffenstillstand. US-Präsident George W. Bush machte die Hamas für die Gewalt im Gazastreifen verantwortlich. Sie sei eine von Iran und Syrien unterstützte „Terrorgruppe“ und habe die jüngste Eskalation der Gewalt „angestiftet“, sagte Bush am Samstag. „Ich rufe alle dazu auf, Druck auf die Hamas auszuüben, damit diese sich vom Terror abwendet“, sagte der scheidende US-Präsident in seiner ersten persönlichen Stellungnahme seit Beginn der israelischen Militäroffensive am 27. Dezember. Zugleich sprach sich Bush für einen Waffenstillstand aus, „der etwas bedeutet und vollständig respektiert wird“.

Ägypten hat seinerseits die Hamas zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand eingeladen und den Islamisten klargemacht, sie sollten „eher gestern als heute“ kommen. Die Hamas prüft den neuen ägyptischen Vorstoß, nachdem es einen früheren abgelehnt hatte, weil Kairo eine Öffnung der Grenzübergänge sowohl nach Ägypten als auch nach Israel nicht garantieren wollte. Das Kriegsziel der Hamas mittels seiner Raketenangriffe aber ist – nach Ansicht israelischer Experten – die Wiederinbetriebnahme der Grenzübergänge. Dies soll den Boykott aufbrechen, um der verheerenden sozialen und wirtschaftlichen Lage im Gazastreifen ein Ende zu bereiten.

Schließlich hat sich Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy für Montag in Israel angemeldet, wo er sich wohl als Sprecher der EU darstellen wird. Während man sich in Israel durchaus vorstellen kann, europäische Vermittlungsbemühungen zu akzeptieren, existieren gegen Sarkozy persönlich seit Kriegsbeginn erhebliche Vorbehalte. Sein Vorschlag einer 48-stündigen „humanitären Waffenruhe“ spaltete die israelische Regierungsspitze. Während Verteidigungsminister Ehud Barak ihn befürwortete, lehnten Ministerpräsident Ehud Olmert und Außenministerin Zipi Livni ihn vehement ab, wäre er doch dem Eingeständnis gleichgekommen, dass im Gazastreifen eine humanitäre Katastrophe herrscht.

Barak, der in den Meinungsumfragen plötzlich Spitzenwerte erzielt und seine Arbeitspartei im Hinblick auf die Knessetwahlen am 10. Februar aus ihrem Tief gezogen hat, stellt sich nach wie vor gegen jede Art von Bodenoffensive. Ein Einmarsch mit anschließender Wiederbesetzung des Gazastreifens kommt aber auch für Olmert und Livni und erst recht nicht für die Armeespitze in Frage. Gegen räumlich und zeitlich begrenzte Vorstöße sprechen sich auch in Israel immer mehr hohe Reserveoffiziere aus: Offensiven in freien Gebieten ohne Zivilbevölkerung, aus denen Raketen abgeschossen werden, brächten nichts. Wenn man aber die Raketenarsenale und -produktionsstätten zerstören wolle, müsste man in dicht besiedelte Gebiete vorstoßen, was einen verlustreichen Häuserkampf bedeuten würde. Für Israel sei es bisher ein „Krieg de luxe“ gewesen, ohne Verluste in den eigenen Truppen, doch würde sich dies bei einer Bodenoffensive ändern.

Allerdings lässt die Tatsache, dass die durch 10 500 Reservisten verstärkten Truppen entlang der Grenze zum Gazastreifen am Freitag ein zweitägiges Manöver begannen, Alarmglocken läuten. Israels Armee hat noch nie am Sabbat (Samstag) ein Manöver durchgeführt, wenn dieses nicht in direktem Zusammenhang mit einem Krieg stand.

Andererseits aber hat die Anzahl und Intensität der gegenseitigen Attacken seit Freitag deutlich nachgelassen. Israels Luftwaffe warf weniger Bomben und schoss weniger Raketen gegen weniger Ziele ab, die Zahl der von palästinensischer Seite abgefeuerten Raketen und Mörsergranaten halbierte sich im Vergleich zu den Vortagen. Seit Beginn der Operation „Gegossenes Blei“ attackierten Israels Truppen insgesamt fast 900 Ziele, darunter acht als Raketenarsenale dienende Moscheen. Rund 50 Angriffe wurden gegen führende Hamas-Politiker und militärische Kommandanten geflogen. Die Palästinenser wiederum feuerten rund 430 Raketen und Mörsergranaten ab, die auf israelischer Seite drei Zivilisten und ein Mitglied des Zivilschutzes das Leben kosteten. Die Palästinenser beklagten bisher 434 Tote, darunter 75 Kinder und 21 Frauen. Wie palästinensische Rettungskräfte am Samstag meldeten, ist unter den Toten ein weiteres ranghohes Hamas-Mitglied. Bei einem israelischen Luftangriff starb demnach am Samstag der Kommandeur des militärischen Arms der Hamas, der militanten Al-Kassam-Brigaden. Ein Sprecher der israelischen Luftwaffe sagte, der 40-jährige Mohammed al Dschammal sei für den Abschuss von Raketen aus Gaza-Stadt verantwortlich gewesen.

Zwar ist die humanitäre Lage im Gazastreifen verzweifelt, die mangelnde Versorgung mit dem Notwendigsten bedrückt die Bevölkerung. Noch schlimmer für die Moral sind allerdings die ununterbrochenen israelischen Angriffe: Der Gazastreifen hat kein Hinterland, alles ist Front. Täglich fließen 40 Millionen Liter Abwässer offen durch die Straßen Richtung Meer. Der Brotpreis hat sich innerhalb einer Woche verdreifacht. Milch, Mehl und Reis sind nur in kleinsten Mengen vorhanden. Bombeneinschläge in mehreren Quellbrunnen und zentralen Wasserleitungen haben zudem zu Trinkwassermangel geführt.

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