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Brandenburg: „Sie wissen ja, es gab das Abendessen“

Genozid-Passus wurde auf Druck der Türkei getilgt / Platzeck: Völkermord bleibt Unterrichtsthema

Genozid-Passus wurde auf Druck der Türkei getilgt / Platzeck: Völkermord bleibt Unterrichtsthema Potsdam - Brandenburgs Landesregierung hat gestern erstmals eingeräumt, dass die Streichung des Völkermords an der armenischen Bevölkerung durch die Türkei aus den Lehrplänen „vom Verfahren her“ ein Fehler war. Bildungsstaatssekretär Martin Gorholt bestätigte außerdem auf Nachfrage, dass der Passus über den Genozid an mehr als einer Million Armeniern in den Jahren 1916/17 nach Intervention durch die türkische Botschaft gestrichen worden ist. „Sie wissen ja, dass es das bewusste Abendessen gegeben hat“, sagte Gorholt vor der Presse in Potsdam. Er bezog sich auf ein Essen des türkischen Generalkonsuls Aydin Durusay vor etwa zwei Wochen mit Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) und dem neuen Bildungsminister Holger Rupprecht (parteilos). Durusay hatte sich zuvor in einem Brief an die Landesregierung wegen der Erwähnung des Völkermordes an den Armeniern im Lehrplan beschwert. Daraufhin wurde vor einigen Tagen der entsprechende Passus in dem vom Landesinstitut für Schule und Medien (LISUM) im Internet veröffentlichten Rahmenlehrplan Geschichte für die Sekundarstufe 1 in aller Stille getilgt – auf Druck von Platzecks Staatskanzlei. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) betonte gestern gegenüber den PNN, dass der Genozid an den Armeniern weiterhin an den Schulen Brandenburgs behandelt werde. Damit reagierte er auf die bundesweite Kritik an der Entfernung des entsprechenden Hinweises aus den Lehrplänen. „Es kann keine Rede davon sein, dass das Thema aus dem Unterricht in Brandenburg getilgt wird“, sagte er den PNN. Er verwies darauf, dass Brandenburg unter den Bundesländern eher eine Ausnahme sei – in anderen wird das Thema gar nicht behandelt und Genozide nicht ausführlich besprochen. Dennoch sei es ein Fehler gewesen, dass Armenien bisher neben dem Holocaust als einziges Beispiel für Genozide im Lehrplan auftauchte. Der Hinweis auf den Völkermord an den Armeniern durch die Türken in den Jahren 1915/16 war erst 2002 auf Initiative des damaligen Bildungsministers Steffen Reiche (SPD) in den Lehrplan für Geschichte aufgenommen worden. Seither hat die türkische Botschaft versucht, eine Rücknahme dieser – bundesweit einmaligen – Erwähnung durchzusetzen. Was der Türkei missfiel, war ein Halbsatz im Rahmenplan für die Klassen 9 und 10, wo im Themenfeld „Krieg – Technik – Zivilbevölkerung“ im Zusammenhang mit dem Phänomen „Enthumanisierung“ die „Entgrenzungen von Kriegen“, „ethnische Entflechtung, Ausrottung und Völkermord“ behandelt werden sollen. Bislang stand dort: „z.B. Genozid an der armenischen Bevölkerung Kleinasiens“. Gestern versuchte das Bildungsministerium, die Angelegenheit zu relativieren. Man habe ohnehin schon 2003 einen neue „Handreichung“ für Lehrer zu dem Kapitel in Auftrag gegeben , die auch die Gräueltaten an den Armeniern behandeln werde. Zum kommenden Schuljahr soll sie bereits fertig sein. Dann werde den Lehrern auch genügend Material zur Verfügung stehen, um Völkermord – bundesweit erstmals – umfangreich im Unterricht behandeln zu können. Nach gründlicher fachlicher Vorarbeit solle der Genozid an den Armeniern wieder in den Rahmenlehrplan aufgenommen werden – „in einer Aufzählung mit anderen Völkermorden“, so Gorholt. Eine erste Vorarbeit des Bochumer Zentrums für Genozid-Forschung sei nicht verwendbar gewesen, weil sich die 120 Seiten fast ausschließlich mit dem Völkermord der Türken an den Armeniern befasst hätten. „Mit dem Material hätte ein Lehrer gerade ein bis zwei Unterrichtsstunden bestreiten können“, so Gorholt weiter. Ziel sei es aber, das Thema Genozid ausführlich in der Schule zu behandeln. Dass mit dem Streichen der Armenier-Passage nicht bis zur neuen Handreichung gewartet worden sei, sei wohl ein Fehler gewesen. Es sei aber auch falsch gewesen, so Gorholt, im Jahr 2002 die „einseitige Passage“, die nur diesen einen Genozid genannt habe, überhaupt erst in die Handreichung aufzunehmen. Den Schuldigen für diesen ersten Fehler nannte Gorholt indirekt: den ehemaligen Bildungsminister Steffen Reiche (SPD). Der hatte sich dafür eingesetzt, dass das Thema in den Lehrplan kam. Reiche ist einer der wenigen deutschen Politiker die – wie in dieser Woche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) – überhaupt jemals den Völkermord am armenischen Volk öffentlich angeprangert und auf die Mitschuld des deutschen Kaiserreiches hingewiesen hatten.

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