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Von Erhart Hohenstein: Wassergrenze nach Berlin fiel am 1. April Weisse Flotte fuhr nach 38 Jahren zum Wannsee

„Hochstimmung auf der Havel“ hieß es am 1. April 1990.

„Hochstimmung auf der Havel“ hieß es am 1. April 1990. Punkt zehn an diesem Tag wurde eine der letzten innerdeutschen Grenzen geöffnet. Die damals noch vorhandene DDR öffnete an der Glienicker Brücke den Wasser-Grenzübergang auf der Havel zwischen Berlin und Potsdam für den Individual-Bootsverkehr. Noch Anfang März 1990 hatte eine PNN-Anfrage ergeben, darüber sei „noch nicht entschieden“. Nun aber herrschte „Hochstimmung auf der Havel“. Eine wahre Armada an Booten strömte unter der Humboldtbrücke durch, umrundete die Freundschaftsinsel und traf sich in der Neustädter Havelbucht mit Potsdamer Wassersportlern. Der noch amtierende SED-Oberbürgermeister Manfred Bille ließ sich nicht nehmen, das Treffen als „weiteren Schritt auf dem Wege des Abbaus der Grenzen zwischen unseren beiden Ländern“ zu würdigen. Dagegen sagte Jockel Reibold vom Landessportbund (West) Berlin damals den PNN: „Ich könnte heulen vor Freude. Ich stamme aus Potsdam, habe hier bis 1955 gerudert, ehe ich rüberging, weil ich politisch unzuverlässig war. Ich hab hier alles gleich wiedererkannt.“ Der damals beim in Westberlin ansässigen Potsdamer Ruderklub „Germania“ aktive Wanderruderer schenkte der gerade neu gegründeten Potsdamer Rudergesellschaft ein Einerboot. Am „Seekrug“ und im damals noch nutzbaren Regattahaus der Kanuten des Sportclubs Vorwärts – dem Vorgänger des Kanu-Clubs Potsdam im OSC – saßen Wassersportler aus Ost und West bei diesem ersten „deutsch-deutschen Wasservergnügen“ bis tief in die Nacht zusammen.

Nachdem es für Frachtschiffe schon im März 1990 Ausnahmegenehmigungen für die Passage gab, sollte eigentlich am 1. April zwischen Potsdam und Wannsee auch die Linien-Fahrgastschifffahrt wieder aufgenommen werden. Die Potsdamer Weisse Flotte und die Berliner Stern- und Kreisschifffahrt wollten dazu einen gemeinsamen Fahrplan aufstellen, was dann bis zum 13. April dauerte. Schon am 2. März hatte es eine Probefahrt des MS „Nedlitz“ gegeben, tags darauf brachen fünf Schiffe der Potsdamer Weissen Flotte und vier der Sternschifffahrt nach Berlin auf. Zwei Löschboote der Westberliner Feuerwehr begleiteten den Konvoi und ließen beidseitig hohe Fontänen aufsteigen.

Morgens schneite es noch, bei der Abfahrt gegen 10.15 Uhr brach die Sonne durch. Dies beflügelte den Westberliner Senator Horst Wagner als Festredner zum blumigen Bild, der Eiszeit in der DDR folge nun der Frühling, dem sich ein schöner Sommer anschließen werde. In Wannsee wurden die Passagiere mit einem vom Bezirksamt Zehlendorf ausgerichteten Volksfest empfangen. Zum Feiern bestand aller Anlass, kündigte die Fahrt doch die Wiederherstellung der 1816 durch den Mittelraddampfer „Prinzessin Charlotte von Preußen“ eröffneten ältesten Verbindung der Passagierschifffahrt in Preußen an. Die Unterbrechung bis 1990 dauerte 38 Jahre. Sie war nämlich nicht erst mit dem Mauerbau 1961, sondern im Zeichen des Kalten Krieges bereits 1952 seitens der DDR vollzogen worden.

Erhart Hohenstein

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