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Kultur: Alles riecht nach Angst

Kommen, lesen, gehen? Inka Bach mit „Glücksmarie“ im Literaturladen Wist

Literarisches Leben gedeiht in Nischen mitunter prächtiger als auf der großen Wiese. Man sollte sich öfter zwanglos zu einer Lesung treffen, ein bisschen Literatur hören und dann einfach nach Hause gehen, philosophierte Literaturhändler Carsten Wist am Donnerstagabend angesichts einer sehr übersichtlichen Zahl an Besuchern von Inka Bachs Lesung in seiner Bücherstube.

Voraussetzung, dass ein solches Treffen tatsächlich lohnend wird, ist dabei einerseits die sprachliche Brillanz des Geschriebenen und andererseits ein ernsthaftes Anliegen des Schreibenden. Bei Inka Bach liegt beides vor. In einer nur vordergründig anteilslosen Diagnose erzählt sie die Geschichte der „Glücksmarie“.

Der Name ist freilich pure Ironie, denn Glück hat Marie eigentlich nie. Nach dem frühen Tod der Eltern wächst sie bei Onkel Herbert und Tante Carola im Osten Berlins auf. Onkel Herbert ist erfolgreicher Gynäkologe an der Charité, ein Halbgott in Weiß und nebenbei ein Frauenheld.

Nur bei seiner Familie, da ist er weder Gott noch Held, sondern einfach nur Schwein. Ein Schwein, das Frau und Stieftochter verprügelt, peinigt, beleidigt. Gesellschaftlich ist er jedoch hoch angesehen, verlöre er nach dem Ende des „Prager Frühlings“ nicht den Glauben an den Sozialismus, wäre er trotz mancher Probleme wohl immer DDR-Bürger geblieben. Doch nach 1968 will er dann einfach nur weg. Wie Herbert im Politischen, ergeht es seiner Frau Carola im Privaten. Immer wieder redet sie über eine Scheidung und macht sich am Ende trotz unvorstellbarer eigener Qualen doch nichts als mitschuldig an Maries Schicksal.

Inka Bachs berechtigtes Anliegen ist es, jenes Bild anzugreifen, das die DDR als einen Staat darstellt, in dem zwar die Öffentlichkeit notfalls mit Gewalt an der kurzen Leine gehalten wurde, in dem jedoch zwischen Wohnzimmer und Datsche, Baggersee oder Ostsee die private Freiheit blühte.

Den ganzheitlich autoritären Charakter der DDR hat die 1956 geborene Autorin bereits zuvor für den Rechtsextremismus in Ostdeutschland mit verantwortlich gemacht. In „Glücksmarie“ stellt sie nun ein erschreckendes Bild von Gewalt gegen Frauen und Jugendlichen in der Oberschicht des Landes dar. Mit der grausam kalten Sprache medizinischer Wörterbücher, aber auch mit sarkastischem Wortwitz, der die Autorin bei der Lesung immer wieder selbst zu verzücken schien, lehrt sie ihren Lesern das Grausen. Und diagnostiziert bei Marie den Rückzug in eine eigene Welt. Einer Welt, aus der Selbstmord immer wieder als einziger Ausweg erscheint. Doch soweit wird es nicht kommen. Die Flucht aus der DDR als Land ohne Öffentlichkeit, wird auch zur Flucht aus der Gewalt des Onkels. Inka Bachs mutige Kampfansage an das einst offiziell propagierte Familienglück in der DDR endet dabei enttäuschend in einem Vertrauensbekenntnis in die staatlichen Instanzen der Bundesrepublik. Gemäß Carstens Wists Credo, einfach den Heimweg anzutreten, war wohl dennoch keiner in der Lage.

Moritz Reininghaus

Inka Bach, Glücksmarie, Transitit-Buchverlag, 16,80 Euro

Moritz Reininghaus

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