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Kultur: Damit man nicht vergisst Etta Scollo im Malteser-Treffpunkt mit Liedern von Rosa Balistreri

Es sind seltene Momente, in denen Musik es vermag, ein ganzes Leben erklingen zu lassen. Ein Leben, mehr noch, einen Landstrich und Leidenschaft.

Es sind seltene Momente, in denen Musik es vermag, ein ganzes Leben erklingen zu lassen. Ein Leben, mehr noch, einen Landstrich und Leidenschaft. Es ist das Leben der Rosa Balistreri, einer italienischen Volkssängerin, die lange, bevor sie in ganz Italien zur „Stimme Siziliens“ wurde und mit Dario Fo Erfolge feierte, am Meer in Armut Sardinen putzen musste.

„Canta Ro““ heißt das Programm der in Berlin wohnenden Sizilianerin Etta Scollo, das heißt „Rosa Singen“. Und auf der Bühne des Malteser Treffpunkts am Neuen Garten, zwischen den beiden fantastischen Musikern Frank Wulff und Hinrich Dagefor und ihren vielen historischen und skurrilen Instrumenten, singt Etta Scollo und erschafft ein musikalisches Hologramm der Künstlerin. Sie steht da barfuss, in rotem Festgewand vor den vielen Italienfreunden, die der Einladung des Vereins „Il Ponte“ gefolgt sind. Mit ihrem charmanten süditalienischen Dialekt, in dem das R schwerfällig rollt wie eine träge Woge, die sich an den Strand sehnt, erzählt Scollo zwischen den Liedern Geschichten von Rosa, die auch die Geschichte Siziliens sind. Vom Apfel, den sich die kleine Rosa erträumte und doch nie essen konnte, weil die Mutter zu arm war und wirklich nur den Schleier des Hochzeitskleides besaß. Der Tochter aber ein Stück Himmel versprach.

Dann greift Dagefor zur Trompete, Fidel oder Laute und Wulff zur Klarinette, Quetschkommode oder Trommel und Scollos Stimme beginnt zu blühen wie ein Zitronenbaum. Auf dem Grund jedoch kann sie auch derb klingen wie ein Waschweib, das am Brunnen schrubbt. Die Schwere des Lebens, in dem man die ersten Schuhe im Alter von fünfzehn Jahren erhielt und erst mit zwanzig den eigenen Namen zu schreiben lernte, dehnt die Vokale und lässt sie schließlich klagend aufschreien. Maultrommeln, Harfe, Laute, sogar zwei große Muscheln begleiten abwechselnd diese traditionellen Melodien, die manchmal etwas Fremdländisches anklingen lassen. Und zu dem gequetschten Klang der Schalmei sind aus den musikalischen Arabesken all die Kulturen heraus zu hören, die Sizilien zeitweise berührten. Griechen, Araber und Türken. „Eigentlich“, erzählt Etta Scollo von ihrer Heimat, „waren ja alle einmal auf Sizilien“.

Auf der Leinwand, die sich wie ein großes, dreckiges Segel aufspannt, werden Bilder gezeigt. Schmale, Gassen, ein Hafen, Liebende. Scollo singt das Lied vom „Kaninchen“, das in den prüden 60er Jahren einen Skandal im katholischen Italien auslöste. Weil Balistreri sich in einfach verschlüsselten, ländlichen Bildern ausmalte, wie sie den Langohr mit dem weichen Fell mit ins Bett nehmen würde. Ein großer Teil des Reizes von Scollos Stimme macht dies Sehnen aus. Ein weibliches, selbstbewusstes Sehnen: nach dem Frieden der Heimat, nach der Tradition der Vergangenheit und nach der Liebe eines Mannes. Bilder entstehen von dem amerikanischen Soldaten, der Rosa die ewige Liebe, ein Taschentuch, auf Sizilianisch „Muccaturi“, und das Wiedersehen verspricht und ihm Etta im Namen von Rosa einfach antwort: „Mal sehen“. Das Leben hat die Balistreri schlau gemacht. Der Mann wird nicht zurückkehren. Vielleicht, vermutete Etta, klängen deshalb Rosas zuweilen kitschige und leidenschaftliche Lieder gefährlich ironisch. So zweideutig, wie der Tanz der Frauen wirkt, die von der in Sizilien beheimateten Spinne Tarantula gestochen wurden. Die danach benannte Tarantella, der traditionelle Tanz der Insel, muss der Legende nach, zwei Tage praktiziert werden, damit das „Gift“ der Verlockung aus dem Körper geschwitzt würde. Etta Scollo mit ihren kongenialen Musikern, die Sägen und Wassergläser zum Klingen bringen können, und damit doch nur zurückhaltend gerade den richtigen Ton der Begleitung treffen, entlässt nach zwei Stunden ein hingerissenes Publikum.

„Canta e Cantu“ – Singen und Erzählen, damit man nicht vergisst: Etta Scolla hat Rosa Balistreris musikalisches Vermächtnis mit zauberhafter Eindringlichkeit und größter Virtuosität zur Erfüllung gebracht. Matthias Hassenpflug.

Matthias Hassenpflug.

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