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Kultur: Kein Museum zur Musikgeschichte

Lars Wernecke inszeniert Treffen Bach und Händel

Lars Wernecke inszeniert Treffen Bach und Händel Phantasie und Fiktion sind wohl immer bereit, das Unmöglichste möglich zu machen. So lebt die Kunst davon, Orpheus in die Unterwelt zu schicken, dort nach Eurydike zu suchen, oder ein niemals stattgefundenes Treffen zwischen den barocken Großmeistern Händel und Bach in Leipzigs „Thüringer Hof“ zu arrangieren. Autor Paul Barz war seine Muse hold, als er diese Fiktion in die Wirklichkeit transformierte, mithin das nie Geschehene zu einer „Möglichen Begegnung“ beider Herrn machte. Seine Komödie sah man im Jahr 2000 als Open-Air-Stück an der Orangerie mit inkludierter „Kaffee-Kantate“, morgen und übermorgen findet alles im Nikolaisaal statt. Der Berliner Regisseur Lars Wernecke, in Sachen „Orpheus“ und Gluck bereits an der Potsdamer Uni zu Werke, richtet es auf ganz besondere Weise ein. Was da mit Neid und Noten aus dem Grab zum Gastmahl aufsteigt, ist der gesetzte Text, aber was man musikalisch dazu gibt, bleibt Geschmack und Phantasie des Regisseurs belassen: Zu jedem Gang des opulenten Soupers hört man Teile aus der Wassermusik des Londoner Weltmannes Händel, Bach als „Provinzler“ hält mit Passagen von h-Moll-Messe und Johannes-Passion dagegen – viel Arbeit für das 40-köpfige Orchester und den Gesamt-Chor der Universität. Kristian Commichau steht für die musikalische Einstudierung dieses „messianischen“ Unternehmens. In einem Vorab-Gespräch sagte der sympathische Regisseur Ausgewogenheit sowohl in den szenischen als auch in musikalischen Belangen zu. Herr Händel wird lange Zeit sehr viel reden, um das „gespenstische“ Genie Bach zu besiegen, der Thomaskantor, zu Lebzeiten vom eigenen Gespenst der Erfolglosigkeit geplagt, kommt erst spät ins Rennen. Dabei sind sich die edlen Ritter der Noten sehr ähnlich, als sie sich im 62. Jahr ihres Lebens möglich begegnen, beide stehen kurz vor der Blindheit, haben sogar denselben Augenarzt, auch ihre Geburtsorte liegen relativ dicht beieinander. Gespielt wird zwar in historischem Kostüm samt Allonge-Perücken, aber der Zuschauer soll dennoch nicht das Gefühl bekommen, in ein Museum für Musikgeschichte geführt worden zu sein. Die Rollen sind ostentativ jung besetzt: Ingo Brosch, in den HB-Studios von New York und der Hamburger Stage School ausgebildet, wird den flotten, aber verletzlichen Weltmann „Frederic Handel“ spielen, Julius Griesenberg – gleichfalls in der Hansestadt zum Histrionen geworden, doch in der Schwyzz lebend und schaffend – gibt den eher introvertierten Bach. Der in Rumänien geborene und aufgewachsene Schauspieler Attila Borlan verkörpert schließlich Händels Faktotum namens Schmidt. Alle drei haben bereits mit Lars Wernecke zusammengearbeitet. Barzens Stück ist natürlich ganz auf die Rezeption der Gegenwart angelegt, wo Bach alleine die Krone gebührt, sein Widerpart hingegen allzu oft mit „klassischer U-Musik“ in Zusammenhang gebracht wird. Dem widerstreitet der Regisseur vehement, Händels „Messias“ (in Auszügen zu hören) und seine Opern sprächen dagegen. Wie es Puschkin mit „Mozart und Salieri“ beschrieb, so geht es auch in diesem szenischen Feature um Konkurrenz und Künstlerneid, aber die zweistündige Produktion aus Potsdam möchte, dass Bach und Händel nach ihrer intellektuell-kompositorischer Rauferei nebeneinander bestehen können, ohne Rang und richtende Wertung. In diesem Bewusstsein geht es dann auch wieder in die Grube. Ein Gastmahl also, vielleicht gar in platonischem Sinn, zu welchem der Londoner den Lipsianer mit Grand Noblesse einlädt. Es macht nicht Sinn, noch mehr zu verraten, nur, dass der Autor (u.a. 20 Hörspiele) zur Premiere am Mittwoch erwartet wird. Schön, wenn er einen gut gefüllten Saal vorfände, damit der Wettstreit zweier Giganten nicht zu einer unmöglichen Begegnung zwischen Hamburg und Potsdam werde. Aber das ist ja bei der Musikliebe des hiesigen Publikums nicht zu befürchten. Gerold Paul

Gerold Paul

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