zum Hauptinhalt

Kultur: Verrückt, aber weise. Physiker, aber unschuldig

Die 13. Klasse des Espengrund-Gymnasiums spielt im „Schaufenster“ der Fachhochschule „Die Phyiker“ von Friedrich Dürenmatt

Es ist nicht anders als gut zu nennen, wenn sich der intellektuelle Nachwuchs mit Fragen beschäftigt, die die heutige Gesellschaft nicht zwingend interessieren. So scheint man sich mit der „Verantwortung der Wissenschaft“ nur noch in Clubs und Vortragszentren zu beschäftigen. Als 1962 Friedrich Dürrenmatts klassische Theater-Parabel „Die Physiker“ uraufgeführt wurde, war das Thema von Leben und Sterben der Erde ganz öffentlichen Bewusstseins, man diskutierte den Atomtod, das Ende der Erde, diesseits und jenseits der Mauer. Heute erwecken die auf modernere Weise barbarischen Waffensysteme aus den Labors der Physik kein allgemeines Interesse mehr, man nimmt sie hin. Gut also, wenn die 13. Klasse des Espengrund-Gymnasiums sich den „Physikern“ in einer Inszenierung öffentlich annahm. Die Premiere war am Donnerstagabend in verwaisten Räumen der FH.

Das Kriminal- und Agentenstück-Stück spielt in einem Nerven-Sanatorium der buckligen Oberärztin Mathilde von Zahnd (Caroline Mettner), dessen Namen „Les Cerisiers“, die Kirschbäume, merkwürdig an Tschechow erinnert. Drei Insassen hausen hier, zwei mit doppelter Identität: der Physiker Beutler (Benno Frevert) hält sich für Newton, sein Kollege Ernesti (Stefan Miess) für Einstein. Auch der „bedeutendste Erfinder aller Zeiten", Möbius (Peter Scholz), hat sich mit vorgetäuschtem Wahn hierher zurückgezogen, denn er fürchtet, dass die Welt seine Forschungen missbraucht. Drei Physiker – drei Würge-Morde geschehen an den Pflegerinnen dieser „Elite“. Ratlos eilt der Kriminalinspektor (Stephan Gadow) herbei: Haben etwa jene honorigen Wissenschaftler solche Verbrechen begangen, und wenn, kann man sie, da ohne Mündigkeit, überhaupt belangen? Unter der Regie von Elke Gerth entfaltete sich ein spannendes Kammerspiel, darin sich die „Kernspalter“ durch eine originelle und oft witzige Spielweise wohltuend hervortaten. Vielleicht dem Premierenfieber geschuldet, gerieten allerdings wichtige Parts anderer Darsteller in eine unverständliche Sprachpressur, was weder dem Inspektor (anfangs) noch der Oberärztin bei der Auflösung des für Dürrenmatt so typisch doppelten Bodens nicht gut taten. Untertext gehört zu den erwürgten Krankenschwestern, wenn sie bewusst auf die Physikusse angesetzt werden, Untertext auch dort, wo der Autor seine Geschichte gleich zweimal und retardierend dreht: Newton und Einstein sehen sich gegenüber Möbius geprellt, der seine Manuskripte verbrannte, was ihre Geheimdienstlerei neutralisiert. Später hebelt Dürrenmatt sogar ihre „Verantwortung“ vor dem planetarem Vernichtungswissen aus, weil die Oberärztin (ohne Buckel) alles längst kopiert hatte und sich als weltmacht-besessen ortet. So war es nichts mit der hohen Ethik in der Physik, die drei sind gefangen auf Lebenszeit, verrückt, aber weise, Physiker, aber unschuldig.

Weite Gänge, schöne Gesten, originelle Einfälle prägten die flüssige Aufführung zum Ergötzen des Publikums, etwa die drei witzigen Wärter, Bullen in Schwarz, oder der Auftritt von Frau Möbius (Beatrice Loske) . Herzblut – Theaterglut – zufriedene Zuschauer, was wollte man mehr. Gerold Paul

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false